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„E-Mobilität führt zu viel mehr Beratungsbedarf“

Interview: Autorengespräch mit Maurice Tennekes und Clemens Kohlsaat über den Autohandel der Zukunft

Ludwigsburg – Der Autoverkauf über Online-Kanäle ist nach wie vor eines der großen Zukunftsthemen des Handels. Was Kundinnen und Kunden vom Autohandel wirklich erwarten und welche Chancen sich daraus für den Autohandel ergeben, hat die Management- und IT-Beratung MHP mit der dritten Auflage der Online Car Sales Studienreihe ermittelt.
Zu den Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen, die die Studie für Hersteller und Händler liefert, führen wir am Rande der Automotive Business Days 2023 in Würzburg ein Interview mit den beiden Experten, die hinter der Studie stehen: Maurice Tennekes und Clemens Kohlsaat.

Wunsch nach digitalen Beratungsangeboten und Produkten wächst

Herr Tennekes, MHP hat die. Online Car Sales Studie nun bereits zum dritten Mal durchgeführt. Welche Veränderungen gegenüber der letzten Studie stechen Ihnen besonders ins Auge?

Maurice Tennekes, Senior Manager Customer Experience Strategy bei MHP: „Ein zentrales Ergebnis ist, dass zwar immer noch mehr als die Hälfte, 54 Prozent der befragten Kundinnen und Kunden ihr neues Fahrzeug am liebsten im Autohaus kaufen. Die Studie belegt aber auch das starke Wachstum der digitalen Kanäle. Denn es gaben in der aktuellen Ausgabe unserer Analyse 22 Prozent der Teilnehmenden an, zum Jahr 2022 hin ein Auto online gekauft zu haben. Das sind 144 Prozent mehr als zwei Jahre zuvor! Offenbar hat sich hier ein klarer Trend entwickelt: Der Wunsch nach digitalen Beratungsangeboten und Produkten ist vorhanden und gewinnt kontinuierlich an Bedeutung. Und hier sehen wir ein deutliches Mismatch. Denn die Erwartungshaltung der Kundinnen und Kunden entspricht noch nicht dem vorhandenen Service der Händler. Die vom Handel angebotenen Online-Lösungen erfüllen derzeit noch nicht der Erwartungen der Autokäuferinnen und -käufer.“

Die Studie von MHP zeigt, dass eine durchgängige und integrierte Omnichannel-Lösung vielfach nicht vorhanden ist. 54 Prozent der Händler ermöglichen ihren Kunden nicht die Möglichkeiten des reibungslosen Hin- und Herwechselns zwischen den on- und offline Touchpoints. Was ist die Ursache dafür?

Maurice Tennekes: „Es ist unstrittig, dass eine durchgängige Omnichannel Experience, also die nahtlose Integration von Online- und stationären Handelskontaktpunkten heute unabdingbar ist, um individuellen Kundenbedürfnissen entlang ihrer jeweiligen Customer Journeys gerecht zu werden. Aber diese Durchgängigkeit scheitert unter anderem daran, dass gut die Hälfte der Händler nicht ausreichend über die Möglichkeiten von Online-Sales-Lösungen informiert ist. Es fehlen allerdings nicht nur Informationen, es gibt auch technische Herausforderungen. Allen voran die mangelhafte Kompatibilität der Online-Vertriebslösungen mit den meist veralteten unternehmensinternen Prozessen und IT-Strukturen. Dazu kommt eine menschliche Komponente, nämlich die fehlende IT-Kompetenz einer großen Mitarbeiterzahl in den Autohäusern.“

Omnichannel-Strategie wird sich positiv auf Kundenzufriedenheit auswirken

Herr Kohlsaat, die IT-Landschaft anzupassen und die Mitarbeiter zu schulen, kostet Geld. Welche Rolle spielt der Investitionsbedarf für den Online-Verkauf und wie steht es um die Investitionsbereitschaft im Handel?

Clemens Kohlsaat, Manager bei MHP und Customer Experience Strategy Experte: „Es war für uns erwartbar, dass der hohe Investitionsbedarf ein Problem für den Handel darstellt. Wir sehen aber durchaus positive Aspekte. So hat immerhin über die Hälfte der Händler die Implementierung des Online-Verkaufs als gesamtheitlichen Veränderungsprozess im Unternehmen, mit hoher Priorität, erkannt. 85 Prozent der Befragten wollen in den nächsten zwei Jahren in den Online-Autoverkauf investieren. Nach meiner festen Überzeugung ergeben sich durch die Einführung einer Omnichannel-Strategie langfristig positive Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit und Kundenloyalität. Das Geld ist also gut investiert, sofern auf geeignete Lösungen gesetzt wird.“

Wir blicken auf zwei sehr herausfordernde Jahre mit bisher nie gekannten Problemen zurück. Der Zusammenbruch ganzer Lieferketten und die folgenden Lieferprobleme bei Neuwagen sind hier nur beispielhaft herausgegriffen. Wie haben sich diese krisenbedingten Einflüsse auf den Autohandel ausgewirkt?

Clemens Kohlsaat: „Die Lieferengpässe der jüngsten Vergangenheit waren allerdings ein Problem, mit dem die Branche umzugehen lernen musste. Dieses Problem ist beispiellos und war keineswegs die einzige Herausforderung. Es wurde flankiert von zunehmend komplexen Systemstrukturen und dem Auftreten und schnellen Wachstum neuer Akteure im Online-Fahrzeughandel. Dieser Mix ließ die Attraktivität von Handelsplattformen für das bestehende Automobil-Vertriebsnetz spürbar steigen. Nach meiner Beobachtung ist genau jetzt der Zeitpunkt, um sich auf die sich wandelnden Anforderungen und Wünsche der Kunden zu fokussieren. Das heißt flexible Mobilität schnell und einfach anzubieten, ohne dabei die menschlichen Interaktionen zu vernachlässigen.“

„Autohaus nicht abschreiben“

Kundenansprüche an den Sales-Prozess ändern sich, die digitalen Services gewinnen an Gewicht, während die menschlichen Berührungspunkte weniger werden. Muss sich der Handel die Frage stellen, ob das Modell Autohaus die Entwicklung des Online-Autoverkaufs überleben wird?

Maurice Tennekes: „Von den befragten Händlern glauben 57 Prozent, dass die Bedeutung des traditionellen Vertragshandels abnimmt. Die Hälfte berfürchtet, dass ihr derzeitiges Geschäftsmodell durch den aufkommenden Online-Autoverkauf durch Drittanbieter bedroht wird. Nach unserer Einschätzung sind die Hauptgründe dafür das bereits angesprochene veränderte Kauf- und Nutzungsverhalten der Kunden und der asymmetrische Wettbewerb durch digitale Angebote, die vom heimischen Sofa aus quasi rund um die Uhr verfügbar sind. Dennoch halte ich es für nicht zielführend, das Autohaus komplett abzuschreiben. Unsere Studienergebnisse zeigen, dass das Autohaus als Kaufort nach wie vor gefragt ist, erstaunlicherweise vor allem bei der Generation Z. Die junge Generation von Autokäufern zeigt zwar erwartungsgemäß eine höhere Affinität zu digitalen Angeboten und flexiblen Mobilitätslösungen als die Fahrzeugkunden anderer Alterskohorten.“

Clemens Kohlsaat: „Allerdings besteht auch bei den Generation-Z-Kunden noch eine Unsicherheit im Kaufprozess, die sich bislang auch noch nicht mit Virtual Reality-Angeboten ausräumen lässt. Hier können die Verkäufer und Produkt-Experten ansetzen und im persönlichen Beratungsgespräch direkt am Auto unterstützen. Mit anderen Worten, hier kann das Autohaus seine Stärken ausspielen.“

90 Prozent nutzen den Online-Konfigurator, es bleiben aber Wünsche offen

Welche Teile des Sales-Prozesses erledigen die Kunden heute überwiegend online oder würden sie gern online erledigen? Welche Optionen werden beim digitalen Auto-Erwerb bevorzugt?

Maurice Tennekes: „Hier sind die Ergebnisse unserer jüngsten Studie sehr klar. Kommt man zu den Präferenzen, die die Kunden beim Online-Autokauf haben, sieht mehr als die Hälfte (57 Prozent) die Finanzierung als festen Bestandteil des Online-Verkaufs. Neben dem Kauf bevorzugen 30 Prozent das Leasing beim Online-Erwerb und 23 Prozent würden ein Auto-Abo wählen. Ein mittlerweile gern genutztes digitales Feature für die On-demand-Beratung ist der Videoanruf, für den sich immerhin 41 Prozent der Käufer entscheiden. Die große Mehrheit, nämlich 70 Prozent der Kunden, möchten außerdem gern die Probefahrt online vereinbaren. Wünsche gibt es auch in Bezug auf den Online-Fahrzeugkonfigurator, den mehr als 90 Prozent bei einem Online-Kauf für nötig halten. Knapp die Hälfte spricht sich für eine Konfigurations-ID aus, die den weiteren Kaufprozess erheblich erleichtern kann.“

Vor dem Kauf muss das Interesse für ein spezielles Modell geweckt werden und die entsprechende Werbung erreicht die Kunden heute auf verschiedensten Kanälen. Lassen sich aus den Erkenntnissen der Online Car Sales-Studie Empfehlungen für die Hersteller und den Handel zum Thema Werbung ableiten?

Clemens Kohlsaat: „Unsere Zahlen sind eindeutig und wenig überraschend, denn sie belegen, dass in erster Linie Omnichannel gewinnt, Digital aber von Jahr zu Jahr stark zulegt. Letzteres wird natürlich als Informationsquelle genutzt – hier nutzen potenzielle Autokäufer vor allem zwei Social Media-Kanäle: Instagram und YouTube. Unsere Studie zeigt allerdings auch auf, dass Social Media außerdem bei Werbung eine immer wichtigere Rolle einnimmt. So ist insbesondere der Einsatz von Influencern besonders erfolgreich, die ein Produkt und dessen Features beschreiben und erklären.“

E-Mobilität mit großem Einfluss auf Sales und After Sales

Ein großer Treiber für den Wandel im Sales und After-Sales Geschäft ist die Transformation unserer Autos weg von Benzin- und Dieselantrieben, hin zu Plug-in- und Elektroantrieben. Was bedeutet das für den Handel?

Clemens Kohlsaat: „Dieser Wandel verunsichert viele Kunden und führt zu einer ganzen Reihe neuer Fragen, auf die sich die Autoverkäufer vorbereiten müssen, um dem stark steigenden Beratungsbedarf Herr werden zu können. Das betrifft einerseits den Verkauf von Neuwagen, aber auch in zunehmendem Maße das After Sales Geschäft. Schließlich wächst der Bestand an wartungsärmeren Elektroautos stetig, was von einem Großteil der befragten Händler als ernst zu nehmende Bedrohung eingestuft wird. Die größer werdende Bedeutung der Elektromobilität geht auch mit einem Beratungsaufwand in puncto Zubehör einher. Hier können wir Entwarnung geben. Die Studie belegt, dass sich die Händler gut aufgestellt sehen, was Informationen betrifft. Die Frage ist aber, ob sie ihr erworbenes Know-how auch gewinnbringend einsetzen können. Denn die Kunden kaufen ihr Zubehör, wie etwa Wallboxen, nicht zwangsläufig bei dem Anbieter, der den Kauf des Fahrzeugs abgewickelt hat. Dazu kommt die Einführung des Agenturmodells durch die OEMs, die damit zukünftig eine höhere Preissetzungsmacht haben und den Automobilhändlern die unternehmerische Autonomie nehmen.“

Maurice Tennekes: „Die Veränderungen im Handel sind also sehr tiefgreifend. Händler, die bisher ihrem Kerngeschäft weitgehend treu geblieben sind, müssen sich nach unserer Auffassung schnell bewegen. Schließlich geht die Notwendigkeit, alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln, nicht allein aus den Absatzeinschränkungen hervor. Sie wird beispielsweise auch durch die eben beschriebene wachsende Bedeutung von Elektromobilität, die Einführung des Agenturmodells im Handel, die zunehmende Digitalisierung und damit zusammenhängende weitere Veränderungen gestützt. On top kommen die vielfältigen neuen Kundenwünsche. An all diesen Eckpunkten muss sich künftig das Angebot des Handels orientieren, wenn es weiterhin erfolgreich sein soll.“

Über die Online Car Sales Studie

In den regelmäßigen Online Car Sales Studien der Management- und IT-Beratung MHP werden Endkunden und Autohändler zum Thema Online- und Offline-Automobilvertrieb befragt, um Kundenanforderungen und Händlerbedarfe zu identifizieren, Implikationen für die Gestaltung zukünftiger Vertriebsmodelle abzuleiten und Veränderungen zur letzten Studie aufzudecken und zu analysieren. Mit Auflagen in 2018 und 2020 sowie Exkurse zu Spezial-Themen wie Auto-Abos oder Vertrieb von Elektrofahrzeugen greift das Team um die Online Car Sales Studien auf zahlreiche Datensätze zurück, die den kontinuierlichen Wandel der Customer Journey in das digitale Zeitalter abbilden.

Die Studie kann HIER heruntergeladen werden. Weiterführende Informationen oder Interviews mit den Experten von MHP werden auf Anfrage jederzeit und gerne ermöglicht.

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